Eine Zeit der reproduktiven Unruhen

Wasserkämpfe als Widerstand gegen den neoliberalen Kapitalismus

Wasser ist nicht nur eine hydrologische, sondern vor allem eine politische Herausforderung. Wie Wasser, Kapitalismus, Kapitalakkumulation und soziale Kämpfe zusammenhängen, hat die Soziologin Dr. Madelaine Moore von der Universität Bielefeld in ihrem vor kurzem veröffentlichten Buch untersucht. Sie stellt das Buch und ihre Forschung hier gleich selbst vor.

Als ich während der Millennium-Dürre in Australien aufwuchs, war Wasser - oder genauer gesagt das Fehlen von Wasser- allgegenwärtig. Nachdem ich nun die meiste Zeit des letzten Jahrzehnts in Nordeuropa gelebt habe, kommt mir die wachsende Dringlichkeit der Diskussionen über schwindendes Grundwasser, die drohende Dürre im Sommer und stagnierende Flüsse beunruhigend vertraut vor. Für viele Europäer:innen ist Wasser eher eine Selbstverständlichkeit. Erst wenn Wasser fehlt, wenn es nicht mehr fliesst oder wenn das, was fliesst, so verschmutzt ist, dass es nicht mehr sicher ist, werden wir uns bewusst, auf wie vielfache Weise wir vom Wasser abhängig sind, und wie Wasser die globale politische Wirtschaft im Fluss hält. Das Vorhandensein oder Fehlen von Wasser bestimmt nicht nur, wie und wo wir überleben, sondern auch, wer überleben wird. Das heisst ganz einfach, dass wir ohne Wasser nicht auskommen.

«Wasser ist Leben»

Unsere entfremdete Beziehung zu Wasser ist jedoch bei weitem nicht universell. Viele indigene Gemeinschaften verstehen Wasser als Leben, als Teil von uns und daher nicht als Ware. Und für die über 2 Milliarden Menschen, die ohne Zugang zu Trinkwasser leben müssen, sowie für die 25 Prozent der Weltbevölkerung, die in wasserarmen Gebieten leben, ist Wasser eindeutig keine Selbstverständlichkeit. Wasseraktivist:innen auf der ganzen Welt haben sich unter dem gemeinsamen Ruf «Wasser ist Leben» zusammengeschlossen. Sie fordern, dass Wasser als ein gemeinsames Gut verstanden wird, das im Mittelpunkt jeder erfolgreichen Reaktion auf die anhaltende ökologische Krise stehen muss.

Trotz der globalen Wasserkrise werden Wasser und die damit verbundenen Dienstleistungen weiterhin zur Ware gemacht, privatisiert, kommerzialisiert und zunehmend auch spekulativ an den Börsen gehandelt werden. Problematisch ist, dass diese Prozesse als Lösung und nicht als Ursache der Krise dargestellt werden. Die Ergebnisse der jüngsten UN-Wasserkonferenz - der ersten UN-Konferenz zum Thema Wasser seit über fünfzig Jahren - enthielten beispielsweise die Aufforderung, den privaten Sektor weiter zu mobilisieren, um die Finanzierungslücke zu schliessen. Und während transnationale Konzerne, Wasserunternehmen und Finanzinstitutionen zu freiwilligen Zusagen ermutigt und in die Diskussion darüber einbezogen wurden, wie die Wasserbewirtschaftung weiter in die grüne (jetzt vielleicht auch blaue?) Finanzwelt und die soziale Verantwortung der Unternehmen integriert werden könnte, erhielten viele Wasseraktivist:innen und NGO-Vertreter:innen keinen Zugang.

Wasser als Krisenfaktor und Profitvehikel

In meinem kürzlich erschienenen Buch «Water Struggles as resistance to neoliberal capitalism: a time of reproductive unrest» (Manchester University Press) konzentriere ich mich auf die globale Wasserkrise und die Art und Weise, wie sich Gemeinschaften gegen die immer weitergehende Vermarktung von Wasserressourcen gewehrt haben. Ich verwende einen relationalen Vergleich, bei dem die Kämpfe um Wasser als Vehikel genutzt werden, um diese spezifische Konstellation zu erforschen und sie in einen Zusammenhang zu bringen; ein Zusammenhang, der durch gleichzeitige und sich überlagernde wirtschaftliche, ökologische und soziale Reproduktionskrisen gekennzeichnet ist, von denen die globale Wasserkrise nur eine Facette darstellt.

Mein Buch hat zwei Schwerpunkte:

  • Erstens die kritische Rolle der Enteignung (von Wasser, aber auch von Natur und sozialer Reproduktion im weiteren Sinne) für die kapitalistische Reproduktion.
  • Der zweite Schwerpunkt liegt bei den Formen des Handelns, die als Reaktion auf diese Dynamik entstehen.

Indem ich die Proteste gegen Wassergebühren in Irland und den Widerstand gegen die Ausbeutung unkonventioneller Gasvorkommen (Fracking, Schiefer, Flözgas aus Kohle) in Australien in einen Dialog bringe, untersuche ich die Spannung zwischen dem Schaffen von Leben und dem Erzielen von Profit, die die neue Grenze der Ware Wasser definiert. Ich zeige, wie jeder Wasserraub eine andere, wenn auch miteinander verknüpfte Facette eines Systems widerspiegelt, das die Fähigkeit weiter untergräbt, Leben zu schaffen. In beiden Fällen wurde Wasser als Natur oder Wasser als soziale Reproduktion in Wasser als Ware umgedeutet, um bestehende Akkumulationskrisen zu lösen, die nach der Finanzkrise 2008-2010 entstanden waren. In Australien wurde die Natur als «Wasserhahn und Spülung» eingesetzt, um das Wirtschaftswachstum zu stützen. In Irland wurde die öffentliche Wasserversorgung umstrukturiert, und die Lohnabhängigen mussten die Folgen tragen. In beiden Fällen verwandelte der Kampf um Wasser latente - ökologische und soziale - Krisentendenzen in aktive.

Wasser und Natur im Klassenantagonismus

Dabei wurden jedoch (und das ist ein zentrales Argument meines Buches) die zugrundeliegenden Krisentendenzen nicht aufgelöst, sondern auf die Bedingungen verlagert, die die Akkumulation ermöglichen, nämlich die soziale Reproduktion, die Natur und zunehmend auch auf den Staat. Indem ich David Harveys Konzept der räumlichen Fixierung aufgreife und es durch die Theorie der sozialen Reproduktion lese, entwickle ich den Begriff der «sphärischen Fixierung», um zu zeigen, wie Krisen in dieser Form des Krisenmanagements zwischen diesen Sphären verschoben werden. So definiert die sphärische Fixierung auch diese Bedingungen als ausserökonomisch, aber dennoch innerkapitalistisch, denn ohne sie könnte die Akkumulation von Kapital nicht stattfinden. Es zeigt ausserdem, dass dies auch die Schlüsseldynamik ist, die der globalen Wasserkrise zugrunde liegt.

In diesem Prozess der Krisenbewältigung wurden die Gemeinschaften neu politisiert. Was als «natürlich» oder gegeben erschien, wurde durch den Kampf zu einem Politikum und das politische Terrain wurde neu konfiguriert, indem die Arbeiterklasse an Einfluss gewann. In Australien haben die ländlichen Gemeinden durch die Neudefinition der Frage, was Wasser ist, die Gesellschaft und die Natur als voneinander abhängig neu artikuliert und der entfremdeten Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur, die der Enteignung zugrunde liegt, entgegengewirkt. Das Verständnis von Wasser und Gemeinschaften als ko-konstitutiv machte es auch erforderlich, Fragen des Landbesitzes vom Privateigentum zu trennen, was Fragen der Enteignung aufwirft und das australische Konzept der «terra nullius» (das «Niemandsland», das erst mit der Kolonialisierung durch die Europäer einen Besitzer fand) infragestellt. Es entstand eine Inkohärenz mit der vorherrschenden Logik des Staates und des Marktes. Und daraus ergab sich ein Klassenantagonismus entlang ökologischer Fragen. Die Frage, was Wasser ist und was es darstellt, wurde zum politischen Streitpunkt.

Zunehmende Unvereinbarkeit von Profit und Leben

In Irland entwickelte sich die Konzentration auf Wasser als Infrastruktur der sozialen Reproduktion zu einer umfassenderen Kritik am Staat und den damit verbundenen Institutionen, einschliesslich der repräsentativen Demokratie. Wasser als Faktor der sozialen Reproduktion und die mit Wasser verbundene Infrastruktur wurde als Allgemeingut, als kollektives Recht, begriffen und von den Prozessen der Kapitalakkumulation abgekoppelt. In diesem Prozess wurde auch die begrenzten Mittel und Möglichkeiten des Staates, für dieses Recht einzustehen, stärker in den Vordergrund gerückt: Der Staat wurde nicht mehr als Garant von Gemeinwohl gesehen und nicht mehr der Erbringer sozialer Dienstleistungen für alle verstanden, sondern eher als den Interessen der lohnabhängigen Arbeiter:innen-Klasse entgegengestellte Macht.

Im Laufe dieser Auseinandersetzung entstanden mehr als nur vorübergehende Allianzen. Es entstand ein gemeinsames Verständnis und Verhältnis zur Enteignung. Dies wiederum war Grundlage für die sich herausbildende Solidarität zwischen und innerhalb von Gemeinschaften. Und diese Gemeinschaften artikulierten und konkretisierten einen Schlüsselwiderspruch des neoliberalen Kapitalismus: die zunehmende Unvereinbarkeit der Bedingungen, die für das Profitmachen einerseits und für das Leben andererseits notwendig sind. In diesem Prozess begriff sich die Arbeiterklasse sowohl in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln als auch im Prozess der Enteignung ihrer Produktionsmittel – und nicht mehr nur als eine Schicht in der Gesellschaft (Anmerkung der Übersetzung: Um mit Lukacs zu sprechen, sie wurde von der Klasse an sich zur Klasse für sich). Indem die Prozesse der Kapitalakkumulation vom Standpunkt der Arbeit aus neu betrachtet wurden, wurde die Arena des Klassenkampfes auf das Zuhause, die Natur und die Nachbarschaft ausgeweitet. In Australien und Irland ist eine Zeit der reproduktiven Unruhen entstanden.

Wie ich in meinem Buch zeige, geht es bei der globalen Wasserkrise um mehr als um den Zugang zu einer Ressource oder deren Bewirtschaftung. Was auf dem Spiel steht, sind die sozialen Beziehungen und Institutionen, die den Wasserraub und die Krise ermöglichen.

*Übersetzung und Zwischentitel von Roland Brunner, Blue Community Zürich

 

Maude Barlow über Madelaine Moore und ihr Buch:

Blue Community Mitbegründerin Maude Barlow, der vor kurzem von der Universität Zürich für ihr langjähriges Engagement für das Menschenrecht auf Wasser die Ehrendoktorwürde verliehen wurde, schreibt zum Buch von Madeleine Moore: «Das Wasser des Planeten ist in Gefahr, da es als Ressource für die globale Wirtschaft im Dienste des transnationalen Kapitals betrachtet wird. In ihrem kraftvollen neuen Buch zeigt uns Madelaine Moore, dass Wasser nicht ausserhalb von Politik und Kultur existiert, die unsere Grundwerte prägen. Um Wasser und das Menschenrecht auf Wasser zu schützen, bedarf es eines tiefgreifenden Engagements für sozialen Wandel und echte Demokratie von Grund auf.»

Weitere Publikationen von Madeleine Moore:

2023, 'A Time of Reproductive Unrest: The Articulation of Capital Accumulation, Social Reproduction and the Irish State.' New Political Economy

2022, Altun, S., Caiconte, C., Moore, M., Morton, A., Scanlan, R., Ryan, M., Smidt, A., 'The Life Nerve of the Dialectic: György Lukács and the Metabolism of Space and Nature.' Review of International Political Economy

2021, 'Liquid Gold or the Source of Life: Understanding water commodification as a contradictory and contested political project', Globalizations

2021, Moore, M., Trommer, S. ‘Critical Europeans in an age of Crisis’, Journal of Common Market Studies Moore